22.07.03

Der interdisziplinäre Daumen

Es gibt Theorien, die zu offensichtlich eine Mitfahrgelegenheit anbieten.

Posted by afa at 12:11

14.07.03

Jeuropa, Juropa, Europa

«Nach einer alten ukrainischen Überlieferung ist Indien keine echte Halbinsel und auch kein richtiger Kontinent, sondern eher eine Insel irgendwo im Ozean. Indien wird von den Rachmanen bewohnt, bedauernswerten Geschöpfen, die keinen Kalender kennen und nicht wissen, wie sie das Osterfest berechnen sollen. Sie sitzen am Ufer des Ozeans und meditieren in Erwartung des Kommenden. Das heisst in Erwartung der Eierschalen.»

Juri Andruchowytsch: «Das letzte Territorium. Essays», Suhrkamp 2003

Wenn man, (a) die Ukraine kennenlernen möchte, und (b) alphabetisch vorsortierte Argumente sucht, um die Postmoderne zu verspotten. Das hat nichts miteinander zu tun? Oh doch:
«Ich lebe in einer ewig beargwöhnten und benachteiligten Weltgegend. Sie heisst Galizien. Vielleicht bleibt mir deshalb gar nichts anderes übrig als mich als Vertreter der Postmoderne auszugeben. Das ist natürlich ein Witz, aber lustig ist er nicht.»

P.S. Rettet die Musik der Huzulen!

Posted by afa at 17:16 | Comments (2)

07.07.03

Eine Art Szene

Wenn ein Autor mit verschmierter Brille und unter den Arm geklemmtem Manuskript mit einem Flackern in den Augen, das sich schon hoffnungslos zum blinden Fleck des Publiziertseinwollens ausgeglüht hat, finalmente den verschämten akademischen Wert dessen, was er sich so beharrlich an den Leib drückt, ins Spiel zu wagen bringt, gibt es im Leben eines übermüdeten Lektors einen Moment derart reiner, gleichsam kristalliner synthetischer Klarsicht, dass sich in seiner zentralen Rückenmarksverlängerung explosionsartige Verpuffungen zu einem Hirnstromgewitter auswachsen, das boolesche Entscheidungen nicht nur kurzfristig lähmt, sondern fraktal auseinandersplittern und das, was er in seiner Kehlkopfepilepsie noch ausstösst, nur noch im Sinne eines quantenmechanischen Zufallsmorsens auf Verständnis hoffen können lässt.

Posted by afa at 16:02

06.07.03

Grosser Himmel, kleiner Verstand

Der Mann von der Versicherung glaubte mir nicht. Es war derselbe, der mich besucht hatte, um sich ein eigenes Bild meines Schadensfalls zu machen. Nun sass ich ihm gegenüber in seinem kleinen Plastikbüro, wo er sich klein und feist hinter seinem Schreibtischchen sitzend an meiner wachsenden Verzweiflung freute. Er trug eine Krawatte mit kindlichen Automobilen. Er war noch jung, glatzköpfig und sprach mit dem unerträglichen Vokabular von Hausverwaltern oder Versicherungsleuten. Eben das war er ja auch.
Ich lehnte mich zurück, bot alle meine Kräfte zu einem Entspannungsversuch auf, und versuchte es noch einmal. Bei Null beginnen.
«Ich habe», sagte ich betont langsam, «nun vor genau einem Monat beim Blick durch einen 400mm-Reflektor in der Amateursternwarte «Himmelsfreund» beim Anblick des Orionnebels meinen Verstand verloren.»
Der Mann von der Versicherung schluckte leer und kramte nach Formularen.

Posted by afa at 12:16

03.07.03

Tombeau de Marais

Um mich in die Irre zu führen, lieber Komponist, braucht es mehr als ein paar billig aufgestellte Quart-Hinterhalte, Nonen-Fallen oder Sekund-Stolpersteine. Um mich zu verwirren, lieber Komponist, reicht es auch nicht, ein Sequenzen-Treppchen hinunterzustolpern, mich durch moll-verweichlichtes Terrain waten zu lassen oder in Parallelen einzubiegen. Für das Pfauenrad Deines Quintenzirkels bin ich ebenso blind wie Deine chromatischen Taschenspielereien an meinem dissonanz-gestählten Gehör abperlen. Was willst Du mir denn vorturnen? Was sich als verstohlenes Tränchen aus Deinen plainte-Motiven herausdrückt, versickert nur im Staub auf dem langen Weg von A- nach Dis-Dur. Und wenn ich übrigens sehe, wie Du den zurücklegst, um doch nur - nachdem Du Dir genügend Kreuze auf den Buckel geladen hast - durch das enharmonische Hintertürchen zu verschwinden... dann hätte ich Lust, Dich auf dem gleichen Weg zurückzuschicken, aber diesmal in Büssersandalen.


Nein, nein, mein Herr, ich bin Analytiker, aber ein ganz verminderter!

Posted by afa at 15:16