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zuspielen, zuhören
Eine Reihe äusserst interessanter Stücke in der Gare du Nord: Christoph Bösch (Flöte), Daniel Buess (Schlagzeug) und Jürg Henneberger (Klavier) spielen als Subensemble des Phoenix Neuwirth, Dolden, Furrer-Münch und Odeh-Tamimi.
Olga Neuwirths Verfremdung/Entfremdung (2002) für Flöte, Klavier und Tonband ist ein doppelbödiges Spiel mit dem gerade in der Live-Elektronik so selbstzweckhaften Begriff der Interaktion. Wird dort der Klang in Echtzeit bearbeitet, simuliert Neuwirth Interaktives nur mit einem aufgezeichneten Band, das den Spielern beständig die Vervielfachung des eigenen Instruments vorspiegelt, sie aber auch zu einer äusserst genauen zeitlichen Ausführung ihres Parts zwingt. In sechs Pausen ist nur das Band zu hören: hier wird der Klavierklang elektronisch in einen Flötenklang verwandelt («morphing»). Was den Gesamtablauf bestimmt, ist freilich kein Kontinuum. Die wie besessen gehackten Cluster des Klaviers, das ganze Spektrum denaturierter Flötenklänge, flimmernde Flageoletts, Luftstrom-Blockaden, sind einzelne Klangereignisse, die man sich hörend aufsammelt. Nicht nur deshalb – und ich gestatte mir hier einen «Eindruck» -, scheint das Stück Muster von zerbrochenem Glas zu erzeugen, die sich immerfort wieder einschmelzen.
Paul Doldens Measured Opalescence (1986-1990) ist furchterregend. Auch hier kommt zu Klavier und Schlagzeug ein Tonband hinzu. Der Begriff der Opaleszenz zeigt sich selbstverständlich programmatisch: er bezeichnet das Aufleuchten verschiedener Farben, wenn bestimmte Steine (vor allem Opale) unter verschiedenem Winkel betrachtet werden. Das Untersuchungsziel der Komposition stellen also die wechselnden Klangkombinationen hinsichtlich ihrer Farbqualitäten dar. Das liesse ein gleichsam kristallographisch spektrales, ein sanftes Nachhör- und Nachhall-Stück vermuten. Doch Dolden setzt auf «Sound» und Lautstärke, mit einer stetig heranrollenden Klangwalze, in der man angstvoll nach Farbveränderungen sucht, ähnlich jenem zuredenden Zuhören, mit dem man einen pannengefährdeten Motor belauscht. Im Gestus eines Ritualtrommlers verausgabt sich der Schlagzeuger, blockartig bearbeitet er seine Instrumente: zuerst Pauken, dann Trommeln, Becken, Gongs. Die mal verlangsamten, mal beschleunigten patterns des Klaviers führen zu einem fortschreitenden Aufschäumen. Und ich habe zum Schluss – Vorsicht – den «Eindruck» einer ziellos torkelnden Maschine, deren rhythmische Veränderungen daher rühren, dass immer wieder ein Maschinenteil sich fortsprengt.
Die mittlere Ereignisdichte nimmt ab in Franz Furrer-Münchs eng/weit/lento (2001). Ein im guten Sinne bescheidenes, sehr durchgehörtes, transparentes Stück für Flöte und Schlagzeug. Ganz gut lässt sich hier zusehen, wie Klänge entstehen: Holzstäbchen auf Beckenmetall.
Um es mir plausibel zu machen, denke ich immer wieder: «Wiederholung macht nie plausibel.»
Auch Samir Odeh-Tamimi beginnt sein Erinnerungsstück («Li-Umm-Kámel», meiner Urgrossmutter in Erinnerung) mit Paukenschlägen. Das von Phoenix in Auftrag gegebene Stück erklingt in Uraufführung. Es ist von fundamentaler Erregtheit und kommt ohne elektronische Hilfszahlungen aus. Flöte, Klavier und Schlagzeug sind nun gemeinsam am Werk, wobei der Flötist zusätzlich eine grosse aufgehängt Springfeder mit diabolischem Klangpotential bearbeitet. Welche Erinnerungen freilich sind hier mitgenommen und eingewoben? Wo sind wir? Welche Art von Musik schreibt ein in Deutschland ausgebildeter und lebender israelisch-palästinensischer Komponist?
Nochmals zu hören!, unterbricht sich hier ein hilfloser Meinungsbildungsprozess. Aber wo und wann?
Ich sass dann noch eine Weile da, bei einem Bier und dreissig Kerzen, während ein afrikanischer Sänger – Mali, Senegal, was weiss ich – fugenlos und dröhnend den grossen Raum ausfüllte; und als ich ging, die Umrisse der Häuser schon tiefschwarz, aber darüber ein noch opalblauer Himmel mit Sternen.
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